9. Kartengeschichtliches Kolloquium: Wissen und Imagination. Kartographische Ordnungen

9. Kartengeschichtliches Kolloquium: Wissen und Imagination. Kartographische Ordnungen

Organisatoren
Universität Zürich
Ort
digital (Zürich)
Land
Deutschland
Vom - Bis
11.06.2021 - 12.06.2021
Url der Konferenzwebsite
Von
Jolanda Brennwald / Lisa Weigelt, Historisches Seminar, Universität Zürich

Wegen der Covid-19 Pandemie um ein Jahr verschoben, fand das Kartengeschichtliche Kolloquium am 11. und 12. Juni 2021 dann, organisiert an der Universität Zürich, in digitaler Form statt. Unter der Leitung von MARTINA STERCKEN (Zürich), INGRID BAUMGÄRTNER (Kassel), UTE SCHNEIDER (Duisburg-Essen) und BETTINA SCHÖLLER (Zürich) wurde damit zu neunten Mal eine Veranstaltung für jüngere Wissenschaftler:innen durchgeführt, die sich in ihren Qualifikationsschriften mit kartengeschichtlichen Fragen befassen. Auch in diesem Jahr wurden vielfältige Bedingungen in den Blick genommen, unter denen kartographische Darstellungen als jeweils zeitspezifische, schriftbildliche Form der Vermittlung von Raum Sinn stiften. Die acht Referent:innen haben Überlegungen zu Karten als Medien von Wissen und Imagination zwischen Mittelalter und Nachkriegszeit zur Diskussion gestellt.

CHRISTOPH MAUNTEL (Tübingen) eröffnete die Tagung mit einem Beitrag zu seiner eben fertig-gestellten Habilitationsschrift, die sich mit den Erdteilen in der Weltordnung des Mittelalters befasst. Seine Untersuchungen zeigen auf, dass es die Variabilität des T-O-Schemas – die Veränderbarkeit eines einfachen, wiedererkennbaren Diagramms – ist, die seinen Erfolg begründet. Anders als bisher, führt Mauntel diese Darstellungsweise nicht einfach auf antike Vorgänger zurück, sondern begreift sie als mittelalterliche Neuerung. Sowohl die Ostung der Welt mit der großen Fläche Asiens als auch das T, welches auf das Kreuz Christi verweist, deuten auf eine christliche Prägung dieser Form der Weltdarstellung hin.

Den zweiten Beitrag leistete STEPHANIE ZEHNLE (Kiel), die eine Karte aus dem kolonialen Kamerun des frühen 20. Jahrhunderts in den Mittelpunkt stellte. Die von König Njoya in Auftrag gegebene Darstellung des Königreichs von Bamum lässt erkennen, wie in der afrikanischen Kartographie islamische und europäische Einflüsse im Hinblick auf Farbgebung und Raumdarstellung zu einer eigen-ständigen Kartographie verschränkt wurden. Die Karte des Königreichs Bamum wurde den englischen Kolonialherren übergeben, um deutlich zu machen, wie König Njoya als Lokalherrscher dem British Empire nützen könnte. Njoya inszenierte sich damit als wichtiger regionaler Herrscher, der sich mit dem kolonialen Gebrauch von Karten auskannte.

MICHAEL SCHONHARDT (Kassel) setzte sich mit den astronomischen Studien Wilhelm von Hirsaus, einem Mönch im Regensburger Kloster St. Emmeram Mitte des 11. Jahrhunderts, und insbesondere mit seiner Suche nach dem eigenen Breitengrad auseinander. Im Fokus stand dabei die Frage der eigenen Position auf dem Planeten. Um diese zu beantworten, bediente sich Wilhelm nicht des damals in Europa bekannt werdenden Astrolabs, sondern suchte eigene Wege. Wie Schonhardt her-ausstellte, besteht die Leistung von Wilhelm von Hirsau darin, in eindrucksvoller Weise Mathematik in Astronomie übersetzt zu haben.

Mit dem Beitrag von JUDITH VITALE FRÖHLICH (Zürich) wurden Edo-zeitliche japanische Karten der nördlichen Gebiete ins Blickfeld gerückt. Entstanden im Umfeld der japanischen Elite, lassen diese vielfältige Einflüsse erkennen. Insbesondere strich Vitale Fröhlich heraus, wie die japanischen Kartierungen mit europäischen Vorstellungen umgingen. So nehmen einige zwar Elemente von Portolan- und Weltkarten auf, zeigen aber die Erdvölker in japanischer Abstufung und mit rein dekorativen Breitengraden. Gleichzeitig werden territoriale Erweiterungen angedeutet und damit der Aufstieg Japans zu einer Kolonialmacht.

SALVATORE MARTINELLI (Kassel) ging in seinen Ausführungen auf die komplexe und bisher noch wenig entschlüsselte Weltkarte von Antonino Saliba ein. Dabei standen die metrologischen Phänomene im Vordergrund, die auf dieser Karte aus dem 16. Jahrhundert – mit rund zwei Drittel aller Begleittexte – prominent vertreten sind. Die Karte fungiert offensichtlich als Speicher und Mittel der Organisation von Wissen über Naturphänomene. Sie orientiert sich augenscheinlich am Konzept der Machina Mundi, eines in die Antike zurückreichenden Konzepts, welches den Zustand der Welt aus Naturgesetzen zu erklären versucht. Diese Vorstellung einer Weltmaschine, so Martinelli, forderte eine kartographische Darstellung heraus, da nur so die komplexen Zusammenhänge klar aufgezeigt werden konnten.

Im Mittelpunkt von NILS BENNEMANNs (Essen) Überlegungen zur Flusskartographie stand der Rhein. Bewusst wird dieser in Bennemanns Untersuchungen als Akteur begriffen, als eigenständige, menschlichen Interessen aushebelnde Instanz. Als Handlungsmacht des Flusses werden vor allem dynamische Elemente, so der Wasserstand und der Wasserverlauf, begriffen und eine entscheidende Rolle zugewiesen. Mit gerade diesen Veränderungen von Flussgebiet und auch Landschaft entzieht sich der Strom einer eindeutigen und langfristig gültigen Kartierung.

GERDA BRUNNLECHNER (Hagen) fragte am Beispiel der Genuesischen Weltkarte von 1457 nach den Veränderungen in der Kartographie im Gefolge der Wiederentdeckung der ‘Geographie’ des Klaudius Ptolemäus. Sie stellte fest, dass die Weltkarte mit ihren Breitengraden und ihrer nördlichen Orientierung formell stark von Ptolemäus beeinflusst ist, sich aber gleichzeitig in ihrer Aufteilung der Breitengrade an der mittelalterlichen Einteilung eines klösterlichen Tages orientiert. Da die neue Sichtweise der Welt als Hilfe und Instrument für die Verdeutlichung der Heilsgeschichte genutzt wird, kann nicht vor der Ablösung einer älteren durch ein neuere Weltsicht gesprochen werden.

Darstellungen Afrikas in den Schulatlanten der DDR und der BRD waren Gegenstand des Beitrags von PHILIPP MAYER (Leipzig). Er zeigte, dass sich die Sicht auf Afrika als Ort der Kriege, Krisen, Konflikte und Katastrophen nach dem Verlust der deutschen Kolonien wandelte. In der DDR wurde Afrika mit dem Untergang des Kapitalismus und dem Aufstieg des Sozialismus in Verbindung gebracht. Hingegen blieb mit dem Fokus auf Krisen und Ressourcen in den Schulkarten der BRD das koloniale Gedächtnis länger sichtbar. Gemeinsam hatten die Afrikadarstellungen der beiden deutschen Staaten den jeweils reduzierten Blick auf den Kontinent und die fehlende Einbettung in eine globalisierte Welt.

Ungeachtet der unterschiedlichen thematischen Ausrichtung und zeitlichen Schwerpunkte hatte das Kartengeschichtliche Kolloquium doch grundlegende gemeinsame Fragestellungen deutlich werden lassen: Die Bedingungen kartographischer Produktion, die Materialität von Kartierungen, die Rolle von Traditionen bei der Konzeption der Welt, die verwinkelten Wege des Transfers von Kartenwissen und die Irritationen, die von neuen empirischen Erkenntnissen ausgehen, gehören dazu.

Konferenzübersicht:

Begrüßung/Moderation: Martina Stercken (Zürich)

Christoph Mauntel (Tübingen): Die Erdteile im Mittelalter – Ergebnisse des Projekts und Ausblicke

Stephanie Zehnle (Kiel) Zur eigenen Farbe finden. Afrikanische Kartographie im Kolonialen Kamerun

Moderation: Ute Schneider (Essen)

Michael Schonhardt (Kassel): Wilhelm von Hirsau und die Suche nach dem eigenen Breitengrad im 11. Jahrhundert

Judith Vitale Fröhlich (Zürich): ,Centres’ oder ‚peripheries of calculation’? Japanische Edo-zeitliche Karten der nördlichen Gebiete

Moderation: Bettina Schöller (Zürich)

Salvatore Martinelli (Kassel): Antonino Salibas kosmologische Figura als Naturenzyklopädie

Nils Bennemann (Essen): Der Rhein als Akteur seiner Wissensgeschichte: Das Beispiel Flusskartographie

Gerda Brunnlechner (Hagen): Die ‚Genuesische Weltkarte‘ von 1457 – ein Beispiel für Medienwandel?

Moderation: Ingrid Baumgärtner (Kassel)

Philipp Meyer (Leipzig): Zwei Staaten, ein Kontinent? Afrikadarstellungen in Schulatlanten der BRD und der DDR

Schlussdiskussion


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